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Ob Wassermühle oder Windmühle – es geht um eine Kreisbewegung, verursacht durch die Naturkraft. Diese Bewegung wird eingefangen in ihrer Mitte, dem Punkt, durch den der zum Wasserrad oder Flügelkreuz horizontale Wellbaum durchgeht. Der Wellbaum reicht ins Mühlengebäude, er markiert also eine Verbindung zwischen der Kraft der Natur und dem Fleiß und dem Erfindungsgeist des Menschen. Wellbaum, Kammrad, Laternenrad, Mühleisen, Bodenstein, Mitnehmer, Läuferstein, Ständerstein, Lichtwerk, Pfannensteg, Hebebaum − so wirken Natur und Kultur bei der Herstellung von Brot zusammen. Und Brot ist nicht bloß ein Nahrungsmittel, sondern ein Lebensmittel, wie Eugen Ernst in seinem ausgezeichneten wissenschaftlichen Bildband „Mühlen im Wandel der Zeiten“ (2005) unterstreicht. Eine Mühle ist also ein einprägsamer Chronotopos, ein Ort, wo sich die Zeit im Kreis bewegt, darin eingeschrieben das Leben der Menschen. Ein toller Stoff für Mythenbildung. Diesen räumt der Autor im zweiten Teil seines Buches auch viel Platz ein. Zunächst jedoch werden wir durch die Mühlengeschichte geführt.

Wir erfahren, dass es bereits im Alten Testament heißt: „Du sollst nicht zum Pfande nehmen den unteren und oberen Mühlstein; denn damit hättest du das Leben zum Pfande genommen“ (5. Buch Mose nach Ernst 2005, S. 15). Wir lernen viel über verschiedene Mühlenarten und ihre Technik (oberschlächtige, mittelschlächtige, unterschlächtige, binnenschlächtige Mühlen, Stockmühlen, Mühlentreppen, Mühlengassen, Schiffmühlen, Rossmühlen, Windmühlen), die einzelnen Phasen des Mahlvorgangs, Zurichtungsformen der Mühlensteine.

Vor allem jedoch sind es die die Mühle betreibenden Menschen, deren Lebenswelten und Abhängigkeit (vom Landesherren, von der Kundschaft, vom Wetter, vom Wasserstand) im Mittelpunkt stehen. Und ihr Können: vom fachgerechten Sieben, über die Prüfung der Feuchtigkeit der Körner, bis hin zur Überwachung der Temperatur der Mahlsteine und der stätigen Zufuhr des Mahlgutes. Ernst zitiert I. Göbel (1993): „Die Mahlfehler zeigten sich unmittelbar an der Qualität des Brotes; so war die Mahlleistung der ständigen Kritik der Tischgemeinschaft ausgesetzt. Ging z.B. das Gebäck schlecht auf und blieben die Brote flach, galt das als Zeichen dafür, dass die Mühlsteine beim Mahlen zu heiß geworden waren und der Kleber verbrannt. Sand im Brot verriet, dass man bei geringem Fruchteinlauf zu scharf gemahlen hatte. Rissiges Brot zeigte an, dass die Frucht vor dem Niedermahlen nicht genügend abgerollt worden war. Und geriet das Brot knatschig, hatte das Mehl nicht lange genug im Mehlkasten ausdünsten können“ (Ernst 2005, S. 79).

Erstaunlich lange prägten kleine Wasser- und Windmühlen die europäische Landschaft, bis sie ab der 2. Hälfte des 19. Jh. industriellen Großanlagen weichen mussten. Zugleich vervierfachte sich in Deutschland der Kartoffelverbrauch − von 50 kg pro Kopf um 1800 bis 200 kg um 1900. Das „Mühlensterben“ begann und damit in der Regel der Abriss stillgelegter Mühlen. Es blieben die Mythen, Lieder, Gedichte…

 

Detlev von Liliencron (1844-1909), Vergiss die Mühle nicht

 

Der Blick aus unserm Fenster war eine Wüste nur.

Kein grünes Saatfeld zeigte des Lebens frohe Spur.

Kein Haus, kein Baum war sichtbar, kein Berg im blauen Duft;

und keine Blumen mischten sich mit der Himmelsluft. –

Am End der öden Strecke, weit über Schutt und Sand,

steht eine kleine Mühle, fern, fern am Erdenrand.

Der Flügel kreist geduldig, er kreist wohl immerzu,

des Windes schneller Atem läßt selten ihn in Ruh.

Mein Weib und ich, wir haben am Fenster oft gelehnt,

wenn Hand in Hand wir saßen und wenn wir uns ersehnt.

Im Frühling, vor der Arbeit, lag noch der Tag im Tau,

wir hielten nach der Mühle vereint die erste schau.

Am Abend, eh der Schlummer von neuem uns erquickt,

wir haben nach der Mühle die letzte Sicht geschickt.

Und immer so die Mühle, es gab nicht liebern Ort,

es kam wie Trost und Grüße, wie Gruß und Trost von dort.

In einer Winterwoche war schwer mein Weib erkrankt,

die schwarze Gräberblume hat sich emporgerankt.

Doch eh der Tod die Decken um ihre Sinne schlug,

hat sie mein Arm umschlossen, der sie ans Fenster trug.

Die treuen Augen suchten mühsam im Dämmerlicht,

und ihre Lippen hauchten: „Vergiß die Mühle nicht!“

 

 

Lektüreempfehlung: Ernst, Eugen 2005: Mühlen im Wandel der Zeiten. Stuttgart: Konrad Theiss Verlag/Wissenschaftliche Buchgesellschaft


Fotogalerie - Irek Graff


Alte Rohrbacher Mühle und Umgebung im Winter

Fotografien von Miroslaw Markiewicz - Januar 2019


Alte Mühle und altes Rohrbach



Alte Mühle - Sanierung 2015 - 2017